Dr. Gunther Schmidt systelios Klinik Milton Erickson Institut Heidelberg

Dr. Gunther Schmidt sysTelios Klinik / Milton Erickson Institut Heidelberg

Dr. Gunther Schmidt in seinem Geleitwort zu „Burnout-Prävention und -Intervention im Marketing“, 2020 Springer Gabler

Das hier vorliegende Buch zu lesen, hat mir nicht nur Freude bereitet, es hat mich auch auf vielen Sinneskanälen angeregt und mir viele wertvolle Inspirationen geschenkt. Das Buch, wie der Titel sagt, zielt ja zunächst (quasi offiziell) auf den Bereich des Marketings ab.

Dem Autor gelingt es durchgehend, seine profunden Marketing-Kompetenzen in einen angenehm leichten und dabei von der Sache her sehr profunden Stil zu übersetzen. Damit schafft er es elegant, die wichtigen und gut recherchierten Inhalte seiner Botschaften beim Leser wirksam zu „vermarkten“. Ich hoffe, dass ich mir davon einige Scheiben für eigene Veröffentlichungen abschneiden kann.

Das Thema, welchem sich Johannes Faupel hier widmet, ist leider ständig aktuell, und das schon seit längerer Zeit, mit zunehmender Intensität. Allein in Deutschland geht man davon aus, dass die Zahl der Krankheitstage für sogenannte psychische Erkrankungen im Durchschnitt bei ca. 25 Tagen pro Person und Jahr liegt, die volkswirtschaftlichen Kosten dafür werden auf ca. 30 Mrd. Euro geschätzt. Diese Zahl ist dabei ganz sicher deutlich zu niedrig gegriffen, denn z. B. für Burnout gibt es im Krankenkassensystem überhaupt keine ICD-Diagnose, für welche Betroffene eine Kostenzusage bekommen, da in der ICD-Klassifikation Burnout gar keine Diagnose-Ziffer hat, sondern nur als sogenannte Z-Diagnose (Zusatz-Diagnose) aufgeführt ist. Will jemand seine Beschwerden durch eine Krankenkasse bezahlt haben, muss er/sie sich dafür typischerweise z. B. die Diagnose „mittelgradige depressive Episode“(F.32.1) oder gar schwerere Bezeichnungen auferlegen lassen. So laufen quasi viele Betroffene „undercover“ unter einer anderen Diagnose, was die tatsächliche Häufigkeit des Auftretens von Burnout-Problemen deutlich verzerrt.

Üblicherweise werden dann die Phänomene, die als Burnout bezeichnet werden, sowohl von der großen Mehrzahl der behandelnden ExpertInnen als auch von den Betroffenen selbst als Zeichen von Schwäche, Inkompetenz, Krankheit bezeichnet und verstanden.

Ich bin sehr froh, dass sich in diesem Buch hier der Autor in profunder Weise für eine ganz andere Sicht engagiert, nämlich für ein kompetenz- und ressourcenorientiertes Verständnis der Phänomene.

Das freut mich um so mehr, als ich selbst seit vielen Jahren für eine solche Sicht eintrete im Umgang mit den Phänomenen, die Burnout genannt werden. Als ein wichtiger Teil meiner Arbeit (ambulant am Milton-Erickson-Institut Heidelberg) und stationär in der sysTelios-Klinik kooperiere ich oft mit Menschen, die sich von diesen Phänomenen betroffen erleben. Das hat mich im Laufe dieser Arbeit immer mehr dahin gebracht, Burnout als Ausdrucksweisen von anerkennenswerten Kompetenzen zu beschreiben und zu nutzen. Das klingt zunächst etwas merkwürdig, wahrscheinlich für viele Menschen bizarr oder gar zynisch, es ist natürlich anders gemeint.

Aus hypnosystemischer Sicht muss unterschieden werden zwischen bewusst-willentlicher Absicht und unwillkürlichem Geschehen und dem damit verbundenen Blick auf Auswirkungen (die sich durchaus von der bewusst-willentlichen Absicht unterscheiden können). Eine Burnout-Entwicklung wird ja aus unwillkürlichen Reaktionen gesteuert, die zum Teil auch unbewusst ablaufen – und erst das Ergebnis der massiven Erschöpfung dringt in die bewusste Wahrnehmung. Solche unwillkürlichen und unbewussten Prozesse zu verstehen, wird deshalb entscheidend. Ob etwas als Kompetenz angesehen werden kann, hängt dann weniger von der Absicht, sondern vor allem von der Wirkung ab, z. B. für die Person und ihren Umgang mit sich selbst und für die interaktionellen Wechselwirkungen, zu denen sie und andere beitragen (Kompetenz im Sinne von Wirkkraft).

Prüft man die Auswirkungen einer Burnout-Entwicklung, kann man für praktisch alle Betroffenen verstehbar machen, dass diese Entwicklung diverse Kompetenz-Aspekte mit sich bringt. So bewirkt ein massiver Erschöpfungszustand z. B., dass Betroffene sich endlich weniger perfektionistische Leistungs-Erwartungen auferlegen, was sie, solange sie noch Kraft spürten, sich nicht erlaubt haben. Zwar geht dies meist innerlich dennoch damit einher, dass sie das nicht an sich wertschätzen und zu Selbstabwertung neigen, aber die vom Organismus ersehnte Abgrenzung erfolgt dennoch mehr.

Weiter zeigt damit der Organismus in seiner nonverbalen Reaktion (der Sprache des Körpers) intensive und effektive Feedback-Prozesse aus dem intuitiven inneren Wissen darüber, dass der Person Wichtiges fehlt für eine gesunde, erfüllende Lebensgestaltung. Dies kann so verstanden werden, als ob quasi eine hilfreiche „Warnblink-Anlage“ starke Störungs-Rückmeldungen anzeigt, um auf den Mangel hinzuweisen und auf Behebung dieses Mangels zu drängen.

Wenn dann allerdings diese Entwicklung als Zeichen von Inkompetenz, Schwäche usw. bewertet wird, mit dem Ziel, sie „wegzumachen“, kann diese wichtige Feedback-Chance weniger oder gar nicht genutzt werden.

In diesem Zusammenhang erscheint es mir außerordentlich wichtig, Burnout von Depressionen zu unterscheiden.

Da eben wie erwähnt Burnout gar nicht als ICD-Diagnose geführt wird, neigen viele Psychiater-Kollegen dazu, ihn einfach als Depression zu bewerten und so zu behandeln. Wie unsere Arbeit aber in vielen hunderten Fällen zeigt – und wenn man die typische Entwicklung und auch die damit in Verbindung stehende Biographie von Menschen betrachtet, die eine Depression entwickeln, und sie vergleicht mit der von Menschen, die einen Burnout entwickeln, so findet man in den meisten Fällen deutliche Unterschiede. In dieser Hinsicht bin ich mir z. B. auch mit meinem Freund Joachim Bauer einig, der auf diese Zusammenhänge ebenfalls hinweist (Bauer 2015).

Menschen, bei denen starke Depressionen diagnostiziert werden, haben oft eine lange Geschichte starker Selbstzweifel und schwachen Selbstwertgefühls, oft verbunden mit massiven Ängsten, auch Misserfolgserfahrungen usw. hinter sich, häufig nach vielen entwertenden und enttäuschenden Erfahrungen schon früh in ihren relevanten Beziehungen.

Menschen, die einen Burnout entwickeln, beginnen fast immer mit starkem Selbstwert und Selbstbewusstsein, verbunden mit großem Enthusiasmus und oft größerem und auch bemerkenswert erfolgreichem Engagement in ihrer Arbeit oder sonstigen Tätigkeitsfeldern.

Dabei übernehmen sie viel Verantwortung „für das größere Ganze“, wenn dies dann aber nicht erreicht wird, steigern sie ihr Engagement noch mehr bis zu massiver Selbstausbeutung, wobei der innere Druck, oft aber auch ein gewisser Zynismus und Verbitterung immer größer werden, sie aber dennoch an den gewohnten Strategien festhalten, bis eben die Burnout-Entwicklung sie begrenzt und quasi signalisiert „bis hierher und nicht weiter“.

Diese Haltungen drücken aber keineswegs Schwäche oder geringe Belastungsfähigkeit aus, sondern gerade das Gegenteil und sie sind das Ergebnis von Haltungen hoher Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, von Bereitschaft zu engagiertem Einsatz weit über das üblicherweise erwartete Maß hinaus, auch von starker Loyalität z. B. der Firma gegenüber, in der jemand arbeitet und auch von Visionsfähigkeiten (denn das Engagement wird gemacht für Ziele, die als sehr sinnvoll angesehen werden und die man als Vision in sich trägt). Insofern stehen hinter der geschilderten Entwicklung praktisch immer sehr anerkennenswerte, wertvolle Werthaltungen, die sich Betroffene allerdings mit einer stark (ja oft fast gnadenlosen) perfektionistischen Haltung abverlangen.

In der Kooperation mit Betroffenen können wir durchgehend herausarbeiten, dass die Burnout-Entwicklung dann erst das Ergebnis davon war, dass in der Person selbst sich auf unwillkürlicher Ebene ein massiver innerer Kampf abgespielt hat zwischen einer „Seite“ der Person, die immer mehr die Position anmeldet, dass es so keinen Sinn mehr macht, weiter zu machen und einer anderen, sehr starken „Seite“, die fordert, dass unbedingt so und am besten noch stärker weiter gemacht werden muss. Die Erschöpfung ist dann das Ergebnis dieser inneren Kämpfe, diese fordern viel mehr Kraft als die Auseinandersetzung mit der Außenwelt an sich. Burnout ist nach unseren Erfahrungen so gut wie immer verstehbar als Ausdruck intensiver Sinn-Krisen, mit denen das intuitive Wissen der Betroffenen nach einer neuen, erfüllenden Sinn-Entwicklung verlangt.

Wenn dann die Burnout-Entwicklung eintritt, werten daran Leidende dies allerdings in ihrem bewussten Denken keineswegs als Ausdruck anerkennenswerter Werthaltungen, sondern (identifiziert mit ihren perfektionistischen „Antreiber-Seiten“) als Versagen und verurteilungswerte Schwäche. Und wenn dann ein betroffener Mensch hört, er „habe“ eine Depression, wird dies von den meisten Menschen mit Burnout als zusätzlicher „Beweis“ dafür genommen, dass sie eben nicht mehr vollwertig, sondern schwach, krank usw. seien, oft verbunden sogar mit Selbstverachtung, die dann wieder die Symptomatik sehr verstärkt. Umso wichtiger wird dann für eine gesunde Lösungs-Entwicklung, dass Betroffene wertgeschätzt werden für ihr Engagement, für ihre Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und ihr innerliches, nicht betrügbares Gespür für Sinn und Stimmigkeit. Dafür muss diese Entwicklung aber auch deutlich abgegrenzt werden von der üblichen Depressions-Diagnose.

In diesem Zusammenhang noch ein Gedanke zum Begriff „Burnout“:

Wir wissen ja aus dem umfassenden Gebiet der Priming-Forschung, dass auch Worte schon stark unwillkürliches Erleben beeinflussen können und so stärkend oder schwächend wirken können.

Insbesondere die Bilder, die auf unbewusster Ebene bei einer Person aktiviert werden können mit Worten, können dabei enorme Wirkung erzeugen. Das Wort „Burnout“ löst bei vielen Betroffenen, aber auch anderen Menschen, nach unseren Erfahrungen Assoziationen aus, als ob jemand tatsächlich ausgebrannt sei, was auch bedeutet, da ist alles verbrannt, da ist quasi nichts mehr zu holen usw.

Mit unseren hypnosystemischen Methoden können wir aber die Betroffenen meist in kurzer Zeit dabei unterstützen, dass sie wieder intensiv „schlummernde Kompetenzen“ und viel Kraft und Lebensenergie reaktivieren aus ihrem unbewussten inneren Potenzial-Raum. So zeigt es sich, dass da keineswegs alles „ausgebrannt“ ist. Die vielfältigen Kompetenzen, welche diese Menschen ja bis zur Burnout-Entwicklung meist sehr lange längst gelebt hatten, sind ja nicht gelöscht, sie sind während der Beschwerden zwar vorübergehend blockiert (dissoziiert), können aber mit unseren gezielten Methoden meist recht schnell und nachhaltig wirksam reaktiviert werden. Um dies deutlich in den Fokus bewusster Aufmerksamkeit zu rücken (Erleben wird immer erzeugt durch Prozesse der Aufmerksamkeits-Fokussierung), erscheint es sinnvoll, andere Begrifflichkeiten zu verwenden als Burnout. Ich nutze diesen Begriff ja auch, weil er eben eingeführt ist, dennoch plädiere ich für Alternativen, die z. B. auf die Sinn-Such-Kompetenz hinweisen, die damit einher geht, so dass Betroffene wieder mehr auch in dieser Entwicklung gewürdigt werden und so zu ihrer Stärkung beigetragen wird.

Johannes Faupel trägt genau zu solchen konstruktiv wirkenden, achtungsvollen, ermutigenden und stärkenden Perspektiven durch dieses wunderbar anregende Buch hier bei.

Er macht mit großem Respekt für Betroffene die anerkennenswerten Werthaltungen deutlich, die hinter einer Burnout-Entwicklung liegen und macht anschaulich verstehbar, welche wichtigen Bedürfnisse sich durch das Burnout-Feedback melden. Was ich sehr verdienstvoll dabei finde, ist auch, dass er weit über das individuelle Geschehen hinausgeht und deutlich macht, dass sich in den schrecklich häufiger auftretenden Burnout-Entwicklungen auch klar gesellschaftliche Widersprüche zeigen. So macht er auch verständlich, dass auch in dieser Hinsicht Burnout eine wichtige Feedback-Kraft für gesellschaftlich relevante Sinnfragen sein kann, in dem z. B. die fast manische Wachstumshaltung in unserem System durch Besinnung auf gesunde Selbstbeschränkung abgelöst werden muss. Damit wird sein Buch auch zur Herausforderung für unsere Wirtschafts-Organisationen, die damit zu einem deutlichen Umdenken aufgefordert werden.

Besonders gut gefällt mir dabei, dass er seine sichtbare Erfahrung mit systemischer Therapie und Beratung, seine profunden Ideen und viele sehr wertvolle praktische Anregungen so elegant mit anschaulichen und auch sehr motivierenden Metaphern und Bildern vermittelt, dass man schon beim Lesen richtig Lust bekommt, sie auszuprobieren. Auch die Idee, diese hilfreichen Vorgehensweisen im Sinne eines Marketings für sich selbst zu nutzen, finde ich hervorragend. Er erfasst damit präzise eine besonders wichtige, aber auch schwierige Aufgabe. Denn wir alle kennen ja sicher das Phänomen, dass man etwas gut und sinnvoll findet, es dann aber auf der entscheidenden unwillkürlichen Ebene nicht umsetzt, weil die gewohnten Muster stärker sind.

So gesehen brauchen wir alle gute Marketing-Strategien unserer bewussten, willentlichen „Abteilung“ der schnelleren, größeren und stärkeren „Abteilung unwillkürliche praktische Umsetzung“ gegenüber.

Mit seinen anschaulichen Bildern und vielen sehr kreativen Ideen bietet der Autor uns Lesern bereichernde Anregungen für ein erfolgreiches Selbst-Marketing. Seine Ideen vermitteln nicht nur viel systemisches Verständnis und Sachkenntnis über die Kontextbedingungen von Betroffenen im Bereich Marketing, sie wirken generell wertvoll und lassen sich sehr gut anwenden in unterschiedlichsten Lebensbereichen. Dieses Buch verbindet Marketing mit dem systemischen und dem hypnosystemischen Ansatz, indem es Marketingmethoden für gesundheitliche Aspekte im Sinne der Aufmerksamkeits-Fokussierung nutzt.

In unserer sysTelios-Klinik haben wir, auch mit Hilfe unserer Klienten, viele Sinnsprüche an den Wänden dekoriert, einer gefällt mir besonders gut:

„Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis größer als in der Theorie“

Johannes Faupel hat mit diesem Buch ein ausgezeichnetes Modell vorgelegt, welches Theorie so vermittelt, dass die Praxis, die daraus folgt, in bemerkenswert motivierender Weise zu einer gesundheitsförderlichen, dabei stets wertschätzenden und ermutigenden Praxis führt. Es wird damit zum hoffentlich sehr erfolgreichen Beispiel für gutes Marketing sogar für sich selbst, und einen großen Erfolg und gleichzeitig den Dank vieler Betroffener hat es verdient.

Dr.med.Dipl.rer.pol. Gunther Schmidt
Ärztlicher Direktor der sysTelios-Klinik für psychosomatische Gesundheitsentwicklung Siedelsbrunn
Leiter Milton-Erickson-Institut Heidelberg